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Frei aber einsam

Isidore String Quartet, 23. Januar 2024, 19:30 Uhr, Meistersingerhalle

Das "Isidore Quartet“, bestehend aus Phoenix Avalon (Violine), Adrian Steele (Violine), Devin Moore (Viola) und Joshua McClendon (Violoncello), steht in der Tradition des "Juilliard Quartet", nach dessen legendärem Geiger, Isidore Cohen, es sich benannt hat. Es gewann 2022 den 14. Internationalen Streichquartett Wettbewerb in Banff (Kanada) und wurde im vergangenen Jahr mit dem Avery Fisher Career Grant ausgezeichnet. Es setzt sich zum Ziel, Neues alt, Altes neu erklingen zu lassen.

Mag sein, dass sich der 30-jährige Felix Mendelssohn Bartholdy auf seiner Hochzeitsreise durchaus frei, keineswegs aber einsam fühlte. Wie dem auch sei, er beginnt währenddessen die Arbeit am Streichquartett Nr.5, op.44/3 in Es-Dur. Wegen der Rückgriffe auf beethovensche Thematik wurde diesem Quartett der Vorwurf des Klassizismus gemacht, doch Mendelssohn hielt es für „hundertmal besser als frühere“ und huldigt im letzten Satz seinen Vorbildern Mozart und Schubert. Die Isidores betreten die Bühne und spielen erst einmal nicht. Auf dem Wege zu äußerster Konzentration wird gestimmt, um sich geblickt, werden Pulloverärmel zurechtgezupft. Die Spannung im Publikum steigt. Und dann beginnen sie: Voll, viril, ausdrucksstark. Die erste Geige übernimmt Adrian Steele, doch gibt es hier keinen eigentlichen Primarius. Alle sind gleichauf, die zweite Geige ist der ersten eine wahre Gegenspielerin, das Cello lyrisch, die Viola selbstbewusst. Virtuos-tänzerische Geigenpassagen wechseln mit nachdenklichen Episoden. Die Isidores treffen die Farben in beidem.

Den humorvollen Mittelpunkt des Konzerts bildet die Auftragskomposition für das Banff Centre „Disappearance of Lisa Gherardini“ des aus Sri Lanka stammenden Komponisten Dinuk Wijeratne. Inspiriert ist das Werk vom großen Coup des Mona-Lisa-Diebstahls aus dem Jahr 1911 durch einen ehemaligen Mitarbeiter des Louvre. Es erklingen Mona Lisas Lächeln, der abenteuerliche Diebstahl des Gemäldes bis zu den Polizeisirenen und die Rückkehr des Gemäldes. Die erste Geige wechselt wie später bei Brahms zu Phoenix Avalon. Die Spielfreude des Isidore String Quartet beschränkt sich hier keineswegs nur auf das jeweilige Instrument. Die Sitzordnung driftet auseinander und findet wieder zusammen, Mona Lisa wird mittels Abbildung in Szene gesetzt, man pfeift. Ein spannendes Bühnenspektaktel , dem sich das junge Quartett mit der Freude derjenigen widmet, die gerne mit noch lebenden Komponisten zusammenarbeiten und experimentierfreudig sind.

Brahms, der große Selbstzweifler, vernichtet 20 seiner Quartette, bevor er mit den zwei Werken Nr.51 an die Öffentlichkeit tritt. Er greift mit der Tonfolge (a)-f-a-e im ersten Satz Joseph Joachims Lebensmotto „Frei, aber einsam“ auf, das durchaus auch für sein eigenes Leben gilt. Nicht nur die Isidores entdecken hier gemäß ihrem oben erwähnten Motto viel Neues im Alten und widmen sich Nuancen und Zwischentönen, die in anderen Interpretationen weniger zur Geltung kommen. Vielleicht treten sie damit in berühmte Fußstapfen, nämlich die Arnold Schönbergs, der in diesem Werk viel Fortschrittliches entdeckte, das er als Keimzelle seines eigenen Schaffens ansah.

Mit Bachscher Strenge in der Zugabe wird das Publikum in den Nürnberger Abend entlassen nach einem Konzert, das viele Stimmungen bediente und ein Quartett vorstellte, dessen weiteren Werdegang Kammermusikfans mit Spannung verfolgen werden.

Ulrike Bauermeister-Bock

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