Skip to main content

"Licht und Schatten"

Schubert-Liederabend, 10. Dezember 2024, 19:30 Uhr, Meistersingerhalle

Samuel Hasselhorn tanzte gerade noch als Papageno über die Bühne des Staatstheaters Nürnberg. Kein Vogelfänger, nein, sondern eine Mischung aus Tod und Teufel. Die Regie wollte es so. Man kann das mögen oder nicht. Aktuell verkörpert er auf der Opernbühne Onegin. Zusammen mit seinem Begleiter, dem vielgefragten Ammiel Bushakevitz, zeigte er am Abend des 10.12.24 in der Kleinen Meistersingerhalle auf Einladung des Privatmusikvereins seine andere Seite. Nicht lustig, heissa, hopsassa, sondern ahndungsvoll jenseitig bot er Lieder des späten Franz Schubert aus den Jahren 1824/25, einer Phase, in der der Komponist wenige Jahre vor seinem Tod noch einmal Kraft zu schöpfen scheint. Bis zum Jahr 2028, Schuberts 200. Todestag, wollen der Bariton Samuel Hasselhorn und sein kongenialer Liedbegleiter Ammiel Bushakevitz fünf CDs mit den späten Schubertliedern eingespielt haben und der Frage nachgehen, was diese dem heutigen Menschen noch sagen können. Was also sagen Bushakevitz und Hasselhorn an diesem Abend?

Er folgt einem Programm, in dem die Pause eine Art Symmetrieachse bildet. Jede der Hälften besteht aus zwei Liedblöcken a vier bzw. drei Liedern, die durch Deutsche Tänze am Klavier geteilt werden.

Die erste Gruppe besteht aus Liedern (Des Sängers Habe, Die junge Nonne, Auflösung, Die Allmacht), die dem Zuhörer mit voller Wucht entgegentreten. Kein langsames Hintasten an die Welt des Liedes, nein, ganz große Leidenschaft unterlegt mit Todesahnung. Hasselhorn/Bushakevitz bilden hier ein viriles Zweigespann, das der ätherischen, den himmlischen Bräutigam herbeisehnenden jugendlichen Klosterfrau gewiss einen gewaltigen Schrecken eingejagt hätte. Dann beruhigt sich die Szene. Bescheiden setzt sich Hasselhorn an die Seite des Steinway-Flügels und Bushakevitz spielt zum Tanz auf (D 366). Eine wunderbar einfühlsam dargebotene Zäsur. Als hätte v.a. Hasselhorn diese Besinnung genutzt, von der Opernbühne Abschied zu nehmen, wandelt sich im zweiten Liedblock vor der Pause (Der Einsame, Abendstern, Das Heimweh, Auf der Bruck) die Atmosphäre und der gefeierte Liedinterpret tritt in den Mittelpunkt. Die ganze Körpersprache Hasselhorns bis hinein in die Mimik wandelt sich subtil und es ist schwer zu sagen, ob der sanftere Umgang mit dem eigenen Körper den neuen Ton der Lieder bedingt oder umgekehrt. Herrlich hintersinnig gelingt die kleine Musiksatire des „Einsamen“ und wunderbar, wie Bushakevitz das Heimweh des „Gebirgssohns“ mit einem Tastenjodler unterstreicht.

Nach der Pause setzen die Interpreten ihren Weg durch Schuberts Welt mit „Fülle der Liebe“, „Der blinde Knabe“, „Normans Gesang“, „Im Abendrot“ fort. Text, Komposition und Interpretation verschmelzen zu großer Homogenität. Das ist Liedkunst vom Feinsten! Die Deutschen Tänze (D 783) perlen bei Bushakevitz fast, als entstammten sie Chopins Feder. Sie bilden den Übergang zu den letzten drei Liedern (Lied des gefangenen Jägers, Totengräbers Heimwehe, Wiedersehn).

Was nun können junge Nonnen, blinde Knaben, heimwehkranke Gebirgssöhne und Totengräber dem heutigen Menschen sagen? Der literarisch gebildete Schubert wählt aus der seinerzeit bekannten Lyrik Themen aus, die tief berührende, existenzielle Situationen und Lebensphasen des Menschen beschreiben. Sie sind überzeitlich und bilden das Strickmuster, in dem sich Schicksale kreuzen – damals wie heute. Auch wenn die Geschichte derzeit mit ihrer marktschreierischen Dualität über uns hinwegbraust, bleibt der Mensch in seinem Empfinden derselbe. Heimatlosigkeit, Krankheit, Todesahnung, Liebe und Sehnsucht werden überzeitlich und über Kulturen hinweg wohl ähnlich erlebt. Schubert bietet Empathie für differenzierte Gefühle und ab und an auch humorvollen Trost. Wir sind dessen bedürftig. Bushakevitz und Hasselhorn brachten ihn ihrem begeisterten Publikum an diesem Abend.

U. Bauermeister-Bock

}